Ja, „Vater der Engel“ erhält nun eine Fortsetzung.
Ich kann es einfach nicht lassen.
28.000 Wörter sind schon da.
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Der Mond tauchte Emilias kantiges Gesicht in fahles Licht. Jares fand sie schön, auf eine seltsam bewegende Art, ganz und gar nicht, wie man einen Schmetterling oder einen zarten Vogel schön findet. Es ging viel tiefer, so, als fände jede Kontur ihres Körpers einen Widerhall in seiner Seele. Wenn er einen einzigen Grund finden sollte, hierzubleiben, dann wäre sie das. Aber Jares hatte sich längst entschieden, er musste gehen.
Er war nun zwölf Jahre alt, ein schmaler aber recht großer Junge mit sonderbar weisen Augen. Viel zu reif für sein Alter, schon seit einigen Jahren den kindlichen Spielen entwachsen. Emilia war bereits fünfzehn, doch auch sie erkannte in ihm kein Kind mehr, eher schien er ihr erwachsener als sie selbst.
Sie saßen dicht beieinander auf ihrem kleinen Hügel nah beim Ort. Hier trafen sie sich häufig, zum Reden und um einander nahe zu sein. Heute würden sie voneinander Abschied nehmen, denn Jares wollte niemanden mit auf die Reise nehmen. Sie zurückzulassen, schmerzte ihn zwar, doch wie sollte er die Freiheit finden, die er jetzt brauchte, wenn er sich noch immer an etwas klammerte? Zu gehen und Emilia mitzunehmen, wäre dasselbe wie hierbleiben und von der Reise nur zu träumen. Sie würde ihn an vielem hindern, allein deshalb, weil sie ihn stets beschützen wollte.
„Was kann ich dir mit auf den Weg geben?“, fragte sie und ihre Stimme klang traurig. „Einen Kuss“, sagte er, ohne zu überlegen.
Sie lachte kurz auf und drückte seine Hand fester. „Den kannst du doch nicht mitnehmen.“
„Ich nehme jede Berührung von dir mit“, entgegnete er. „Und alles, was meine Augen dabei sehen.“ Er hatte schon recht viel von ihr erblickt, eine herbe Weiblichkeit, die lustvolle Männerträume in ihm weckte. Umsetzen wollte er seine Fantasien jedoch mit ihr nicht, das war zu früh und würde zu einer zu engen Bindung führen. So eng, dass er vielleicht doch hierbleiben musste.
Sie seufzte leicht, beugte sich zu ihm und gab ihm den Kuss, den er sich wünschte. Obwohl vieles an ihr eine gewisse Härte ausstrahlte, waren ihre Lippen doch ganz weich und voll. Ja, dieser Kuss würde ihn begleiten, auch, wenn sein Weg ihn in die Hölle führte.
Als sie hinterher wieder in sein Gesicht sah, teilte sie ihm wie nebenbei mit: „Das kannst du jeden Tag haben.“
„Ich teile mir diesen Kuss für den Rest meines Lebens auf.“
„Ja“, erwiderte sie ganz ernst. „Dann verleihe ich diesem Kuss die Kraft, dich an finsteren Orten zu retten.“
„Ein Zauberkuss also“, sagte Jares mit gespielter Ehrfurcht und strich mit den Fingern über seine Lippen. „Das wird sicher helfen.“ Er wusste, dass Emilia nichts dergleichen vermochte, sie konnte nicht einmal seinen stillen Begleiter wahrnehmen. Sogar seine Mutter, die in diesen Dingen ziemlich träge war, wusste, dass der Geist seit einigen Monaten bei ihm war. Saphira hatte versucht, mit ihm darüber zu reden, doch in ihren Worten drang so viel von ihrem eigenen Wünschen und Wollen zu ihm, dass er es kaum ertragen konnte. Seine Mutter war der Hauptgrund, warum er schon jetzt fortging, obwohl gerade sie ihn mit aller Macht hier halten wollte.
„Ich würde sagen, jetzt habe ich alles“, stellte Jares fest und ließ Emilias Hand los. Dann stand er auf. Einen so plötzlichen Abschied hatte seine Freundin nicht erwartet, sie starrte sprachlos zu ihm hinauf, während er seinen Rucksack schulterte. Er hob die Hand zum Gruß, wandte sich ab und kämpfte dabei sein rebellierendes Herz nieder, das sich zurück in ihre Arme flüchten wollte. Ein Teil von ihm – und nicht einmal ein kleiner! – wollte für immer bei ihr bleiben, sich fest verankern in dieser Welt gewöhnlicher Menschen mit gewöhnlichen Träumen.
Jares hörte Emilias Rufen, doch er antwortete ihr nicht mehr. Er spürte das starke Band zwischen ihnen wie einen Würgegriff um seinen Hals, während er seine ersten Schritte in die umgebende Dunkelheit tat. Straffer und straffer spannte sich das Band, wollte ihn zurückreißen. Wenn er ihr Antwort gab, würde es ihn vielleicht im nächsten Moment ersticken und so zur Umkehr zwingen. Erst, als ihre Stimme verklang und er nur noch den leichten Sommerwind in den Bäumen vernahm, zerriss das Band und entließ ihn in die Freiheit.