„Elf“, sagte sie und sah dem Schlachter geradewegs in die Augen. „Du weißt, wie es geht, mach es schnell und gründlich.“
„Siderya …“. Der Mann reagierte bestürzt.
„Entweder machst du es oder ich. Wenn ich es mache, werden es zwölf sein.“
Er starrte sie an.
„Wir haben die Spielwiese verlassen und einen Krieg angefangen“, erklärte sie. „Wenn wir nun zögerlich werden, opfern wir unser gesamtes Volk. Wenn wir mutig vorangehen, sterben nur die Verräter.“
Sie sah die Angst in seinem Blick, doch darauf konnte sie keine Rücksicht nehmen. „Die kleine Melancha konnte es“, sagte sie ihm. „Was ein kleines Mädchen wagt, das schaffst du auch.“
Er zögerte noch immer. Siderya nahm ihm mit einem schnellen Griff das Messer vom Gürtel, das sie ihn gebeten hatte, mitzubringen. Mit den Fingerspitzen strich sie über die Klinge. „Du hast es gut geschärft, wie immer. Du weißt, wie schnell ein scharfes Messer töten kann.“
Der Mann schluckte. „Ich bin ein Hirte, ich kümmere mich um meine Tiere, ich ziehe sie auf und weide sie. Ich bin auch dafür zuständig, sie zu töten, damit wir etwas zu essen haben. Aber ich kann das nicht … mit Menschen.“
Siderya wies mit der blinkenden Messerspitze auf ihn. „Aber ich kann es“, sagte sie. „Dreh dich um und ich zeige dir, wie das kleine Mädchen es gemacht hat.“
„Das würdest du nicht tun.“ In seiner Miene las sie mehr Hoffnung als Wissen.
„Früher hätte ich das nicht getan“, teilte sie ihm mit. „Doch die Zeiten haben sich geändert.“ Sie gab den beiden Wachleuten ein Zeichen, die im Hintergrund standen. Die Männer kamen heran. Sirus hatte ihr für den heutigen Tag reichlich gute Leute seiner getreuen Truppe geschickt, nicht nur für ihren persönlichen Schutz.
Der Schlachter nahm ihr eilig das Messer aus der Hand – und sie ließ es geschehen.
„Und es gibt keinen anderen Weg?“, fragte er nervös.
Sie schüttelte entschieden den Kopf.
„Dann soll ich also nun der Henker sein …“.
Sie blickte ihm lange prüfend in die Augen, bevor sie bestätigend nickte. „Ja“, sagte sie und verließ dann das Zelt, um vor die Menge zu treten.

(aus dem Roman „Vater der Engel“)

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